Thursday, June 25, 2015

Unser Mädchen

Manchmal wirkt sie so untypisch Kleinkind.
Wir sind an der beliebtesten Matsch- und Wasserstelle hier in der Region.
Meine Tochter setzt sich auf die ausgebreitete Decke und verlangt ihre Badesachen, auf denen sie zuhause bestanden hatte. Dann zieht sie sich selbstständig aus und die sorgfältig ausgesuchten Badesachen an und setzt sich wieder auf die Matte. Als nächstes ist ihre Puppe dran. Auch sie wird ausgezogen und bekommt dann einen Schwimmanzug an. Dann sitzt Elisa in Badesachen an unserem "Naturstrand" mit Bachlauf und guckt. Ich breite unser Sandspielzeug aus. Sie beobachtet die spielenden Kinder, weicht etwas zurück, als sie nahe bei uns sind. Sie lauscht den Gesprächen, will alles Gesagte erklärt haben. Sitzt und schaut. Ich frage, ob sie mal ins Wasser will. Nein. Ob sie was bauen will mit dem Sandspielzeug. Nein. Wir sitzen. Sitzen und Beobachten. Kommentieren und erklären. Wenn man etwas nicht erklären kann, fragt Elisa immer nach: "Vielleicht...?" Dann soll man eine Vermutung äußern. Ich sitze da, beobachte die glücklichen matschenden Kinder, schaue auf die Berge, die ich hierher geschleppt habe und denke: Warum sind wir eigentlich hierher gekommen? Ich hab unseren Kleinen getragen, dicke Tüten geschleppt und nun sitzen wir hier. In Badesachen. Elisa unterbricht meine Gedanken, indem sie sagt, dass es toll hier ist.
Später hat sie mit mir noch eine Suppe für ihre Puppe zubereitet. Vielleicht hat sie es aber mehr für mich gemacht. Weil ich dachte, wenn wir schon hier sind, müssen wir doch irgendwas machen. Was man hier so macht. Matschen, durch das Wasser waten, Sandkuchen, mit Naturmaterialien spielen...
Als wir zuhause sind, bin ich erstaunt darüber, dass man an unserem "Strand" sein kann und ohne schwarze Füße nach Hause kommen kann. Eigentlich ist das nicht möglich, da der Sand dort so schwarze Spuren hinterlässt. Mit meiner Tochter schon.

Das Leben ist ein Rollenspiel. Egal, wo wir sind. Ihre Hannah (und nun meistens auch Bobo) ist dabei, und sie spielen in jeder Kulisse mit.Wir kaufen mehrfach täglich ein, fahren nach Langeoog oder mit dem Nachtzug, wohnen im Papphaus, feiern Geburtstag, verwandeln uns in Sekunden in diverse Personen und zurück.
Mein Highlight in der letzten Woche: Wir waren auf dem Büchereiflohmarkt. Dort entdeckte sie plötzlich ein winziges Buch (ca. 4-5 cm groß). Ihre Augen beginnen zu leuchten, sie sagt: "Ein Buch für Hannah!" In ihrem Kopf sind Welten, alles ist so lebendig, was du dir vorstellst, Elisa... wir dürfen das Buch mitnehmen für deine Puppe. Sie erklärt mir leise: "Hannah hat es sich so gewünscht, aber die Kinder haben es nicht zurückgebringt." Zuhause angekommen darf Hannah das Buch gleich haben. Elisa liest es ihr vor. Es ist eine Bobo-Geschichte. (Eigentlich lautet der Titel dieses wunderbaren Buches: "1000 Worte. Essen in Frankreich." und es sind 1000 französische Gerichte drin. Ich glaube, außer uns hätte es eh keiner gebraucht)

Ortswechsel. Spielplatz.
Sie geht auf die Geräte, auf denen kein anderes Kind spielt. Heute versucht ein Kind Kontakt aufzunehmen. Das Kind ist wirklich total lieb. Aber es hat keine Chance bei Elisa. Es ist ihr fremd, Elisa will allein spielen. Sie schaukelt ihre Puppen, erklärt ihnen die Welt, spiegelt mich, indem sie die Sätze zu ihnen sagt, die ich oft zu ihr sage... Sie will rutschen, dann sieht sie, dass ein anderes Kind dorthin läuft. Also geht sie zum Karussell. Wenn wir an einem Ort sind, der ihr fremd ist, redet sie nicht. Einige, die sie zu mir sprechen hören und uns kennen, sind erstaunt, dass sie tatsächlich reden kann. Sie hatten es vorher noch nie gehört. Und wie du redest, Elisa. Spät angefangen hast du in vier Monaten unglaublich aufgeholt. Sie bildet Sätze mit "Entweder-oder", eigentlich und ausnahmsweise. Aber außer ihrem vertrauten Kreis hören das nicht viele. Manchmal frage ich mich, wie es ihr in der Schule ergehen wird. Wir brauchen sensible LehrerInnen, die sie wahrnehmen werden. Ich weiß selbst, wie es manchmal ist mit noch anderen  25 Kindern in der Klasse. Jeder hat seine Probleme. Noch ist es hin. Aber ich bin doch gespannt, wie es werden wird.

und dann sehe ich, wie sie mit den Kindern umgeht, die ihr vertraut sind. Wie vorsichtig sie mit jüngeren Kindern ist. Fürsorglich. Sie drängt sich nicht auf. Es rührt mich, wie sensibel sie ist. Wie sie teilt, extra das einpacken will, was der andere auch mag. Und wie sie mit ihrem kleinen Bruder umgeht. Beim Stillen hält sie seine Hand oder streichelt seine Haare. Sie sagt ihm: "Du bist nicht allein, wir sind doch bei dir" wenn er weint. Manchmal erstickt sie ihn fast unter ihrer Haarmähne. Aber dafür ist er der Einzige in unserer Familie, der Küsschen von ihr bekommt. Und ganz besonders war für mich, als sie betete: "Duter Dott, danke, dass Hannis jetzt da ist!" (ein paar Tage nach der Geburt)

Dann ist da noch ihre Angst. Ihre Schreckhaftigkeit vor lauten Geräuschen. Ihre Angstsätze ("Mama, pass auf mich auf", "Mama, ich will ganz nah bei dir sein!" "Ich habe Angst, dass ein Auto mich überfährt!") und die Hosenbeinklemme (auf dem Parkplatz, manchmal bringt sie mich damit fast zu Fall). Ihre Angst macht mir manchmal Angst, die Welt ist nicht immer so rücksichtsvoll, sie ist manchmal so laut und unsensibel...
diese Verletzlichkeit rührt mich. Manchmal wünsche ich mir, sie legt sich eine harte Schale zu. Und doch ist es genau dieses Verletzliche, diese Sensibilität und das Vorsichtige, was tief im Innern bewegt und anrührt. Ich möchte sie beschützen, so gut ich es kann und ihr gleichzeitig immer wieder zeigen, dass ich ihr vieles zutraue.
Wir haben immer schon gestaunt, wie gut sie sich selbst einschätzen kann. Sie ist so besonnen, was Kletter- und Laufaktivitäten angeht. Hat Sachen erst dann gemacht, wenn sie es wirklich konnte (Treppen laufen) oder lange geübt hat( Laufrad im Wohnzimmer fahren, erst dann draußen).

Dann ist da noch ihr gutes Gedächtnis. Sie merkt sich so vieles, was vor langer Zeit passiert ist,kann viele Geschichten auswendig. Redewendungen prägt sie sich schnell ein und bringt sie dann an passender Stelle. Mit ihren Sprüchen bringt sie uns so oft zum Lachen.

Sie ist etwas Besonderes. Und ich liebe sie so sehr, so wie sie ist. Ihr das zu vermitteln, das ist mir das Wichtigste. Wenn ich ihr sage: "Ich hab dich lieb!" fragt sie meistens "Warum?" Dann küsse ich sie und sage: "Weil du meine Tochter bist!" Daraufhin sagte sie letztens: "Papa hat mich auch lieb. Weil ich auch seine Tochter bin!"
So ist es.
Du bist ein wunderbares Mädchen, Elisa, und eine Welt ohne dich (und Hannah) ist für uns nicht mehr vorstellbar!